«Treibhaus der Zukunft oder Pension für Ruhebedürftige»

Publizist und Philosoph Ludwig Hasler über Freiheit und Sicherheit

Anfang Jahr traten zahlreiche neue Regeln in Kraft. Brauchen wir diese?

Das hängt vom Weltbild ab. Gilt die Welt als Pension für Ruhebedürftige, kann es nie genug Regelung ­geben. Gilt sie als Treibhaus für die Zukunft, gibt es längst zu viele. Sicherheit oder Freiheit? Das ist die Frage. Und die Antwort lautet: mit Sicherheit weniger Freiheit.

"Gerade Selbstverwirklichung will das Regel-Korsett" - Ludwig Hasler Bild: Youtube Screenshot / SoZ
“Gerade Selbstverwirklichung will das Regel-Korsett” – Ludwig Hasler Bild: Youtube Screenshot / SoZ

Was bedeuten solche Regeln für unsere persönliche Freiheit?

Zunächst: ohne Regeln keine Freiheit. Weil meine Freiheit ihre Grenze an der Freiheit der andern hat. Ohne Fairness kein Spiel. Wäre es im Fussball nicht verboten, den Stürmer von hinten umzuhauen, wer wollte dann noch einen genialen Pass schlagen? Ähnlich produktiv wirken Grundregeln auf allen Arealen der Gesellschaft. Die Kehrseite lautet: je dichter die Regelung, desto tödlicher für die Freiheit. Also sollten wir jede neue Regel nicht nur an maximalen Schutzbedürfnissen messen, sondern nach dem Kriterium beurteilen: Eröffnet sie der Freiheit ­produktive Spielräume – oder engt sie die nur ein?

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Schwimmwesten statt Christbaum

Schweizer opferten ihr Weihnachtsfest, um auf der Insel Lesbos Flüchtlingen zu helfen

Es stinkt nach verbranntem Plastik. Frierende Kinder wärmen ihre Hände an den improvisierten Feuern aus Abfall. Es ist die einzige Wärmequelle für Tausende Flüchtlinge, die im Camp Moira auf Lesbos keinen Platz mehr finden. «Man muss es sich wie die Hölle vorstellen», sagt Rahel Herzog, 53, zu den Szenen vor dem Registrierungslager. Sie ist eine von rund 30 Schweizerinnen und Schweizern, die zurzeit auf Lesbos sind. Statt daheim Weihnachten zu feiern, sind sie auf die griechische Insel geflogen, um Flüchtlingen zu helfen.

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Rahel Herzog im Teezelt des Schweizer “Wild Lemon Team”. Bild: Nikos Pilos / SonntagsZeitung

«Ich bin jemand, der gerne handelt», sagt Herzog. Schon in den Monaten zuvor hatte sie Spenden gesammelt. Über die Festtage schloss sie ihre Künstleragentur in Cham ZG und reiste in den Süden. Im Gepäck: 40 Kilogramm Kinderkleider. «Die Menschen kommen pflotschnass und durchgefroren an», sagt Herzog. Schon am Strand verteilt sie jetzt Schuhe und Socken und wickelt die frierenden Flüchtlinge in warme Decken.

Die Not auf der Insel ist gross. Freiwillige aus ganz Europa engagieren sich. Zu tun gebe es viel, sagt Herzog: «Gestern bin ich um 6 Uhr aufgestanden und bis heute Morgen um 5.30 Uhr auf den Beinen gewesen.» Die Freiwilligen würden einen «Wahnsinnsjob» machen:

«Jeder will möglichst gut und schnell helfen.»

Sie arbeite mit ­einem Griechen zusammen, der sein Geschäftsleben in Singapur aufgegeben habe, um auf Lesbos zu helfen: «Ein moderner, bescheidener Held.»

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Auch der Wolf merkt den Rechtsrutsch

Das neue Parlament könnte den Schutz für Grossraubtiere noch mehr lockern

Der Aufschrei war gross. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bewilligte letzten Montag den Abschuss zweier Jungwölfe. Damit soll dem Calanda-Rudel im Grenzgebiet zwischen St. Gallen und Graubünden wieder Respekt vor dem Menschen beigebracht werden. Tierschützer kritisierten den Entscheid, Schafzüchter frohlockten. Die Wolfsfrage zeigt die Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen Berg und Tal.

Können sich Wolf und Mensch friedlich Gutenacht sagen? Bild: Bundesamt für Umwelt / bafu.admin.ch
Können sich Wolf und Mensch friedlich Gutenacht sagen? Bild: Bundesamt für Umwelt / bafu.admin.ch

Die Diskussion läuft auch auf dem politischen Parkett heiss – zuungunsten der Grossraubtiere: Das neue Parlament besteht mehrheitlich aus Wolfsgegnern. Dies zeigen Daten von Smartvote. Während 2011 noch nur 46 Prozent der Nationalräte bereit waren, die Schutzbestimmungen für Grossraubtiere zu lockern, sind es nun 53 Prozent.

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Mit Stethoskop und Teleskop

Tankred Stöbe rettete 1400 Flüchtlingen auf dem Mittelmeer das Leben

Plötzlich schrillen die Alarmglocken. Noch 30 Minuten. Tankred Stöbe kämpft sich an der schaukelnden Leiter aufs Deck. Er hastet zum eisernen Schrank. Desinfektionsmittel, Druckverbände, Schwimmwesten: alles bereit.

Jetzt starrt der 46-jährige Arzt raus auf die See. Die dunklen Wellen tanzen. Stöbe greift zum Teleskop. «Die Anspannung springt in diesem Moment von null auf hundert», sagt der Notarzt über die Minuten, bevor seine Crew ein Flüchtlingsboot in Not erreicht. Stöbe kam kürzlich vom Einsatz auf dem Rettungsschiff Dignity 1 der Hilfsorganisation Médecins sans Frontières (MSF) zurück. In vier Wochen hat er 1400 Menschenleben gerettet.

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Trotz des Winterwetters wagen immer noch viele Asylsuchende die Reise über das Mittelmeer. Das zeige ihre pure Verzweiflung, sagt Stöbe. Die Chance zum Überleben sei auf der Überfahrt höher, als wenn sie zu Hause blieben: «Das ist wie russisches Roulette.»

Über 3000 Flüchtlinge sind 2015 ertrunken, mehr als im Vorjahr. Die Dunkelziffer ist hoch. MSF hat vorgestern Freitag beschlossen, mit Greenpeace eine neue Aktion zwischen Griechenland und der Türkei zu starten. Auch vor der libyschen Küste kreuzt weiterhin ein MSF-Schiff.

Die Bedingungen seien prekär gewesen, sagt Stöbe.

«Die Flüchtlinge liegen stundenlang in Salzwasser, Urin und Benzin.»

Wenn sie an Bord kletterten, musste er sekundenschnell entscheiden, wer am dringendsten Hilfe benötigte.

Der Deutsche erzählt gern, er spricht schnell und effizient. Wenn es um seine Mission geht, will er, dass ihn sein Gegenüber versteht. Doch alle paar Minuten zerreisst ein Witz diese Ernsthaftigkeit, er lacht laut und herzhaft.

Seine Empathie und Eloquenz halfen Stöbe auch auf dem Boot, um das Vertrauen der Flüchtlinge zu gewinnen. Nur so könne er die bestmögliche Hilfe leisten: «Manche sind nur erschöpft, aber viele sind schon krank und verletzt bei der Abreise.»

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