Feiern mit geächteten Krim-Ministern

Bank-Von-Roll-Präsident liess sich mit Vertretern der annektierten Halbinsel ablichten und kommt nun in Bedrängnis

Zürich/Derbent Es war ein rauschendes Fest. Ende September ­feierte die russische Stadt Derbent den 2000. Geburtstag. Über 500 Gäste wurden eingeladen, um die goldenen Sandstrände und die ­historische Stadt zu bejubeln. ­Unter ihnen waren Unternehmer und ­Investoren aus ganz Europa, so etwa auch Gerhard Ammann, ­Präsident der Bank Von Roll.

Zum Fest gehörten «viel gutes Essen und viel guter Wein», wie ein Besucher erzählt. Bei diesen Feierlichkeiten begegnete Ammann zwei besonderen Gästen: Ruslan Balbec, Vize-Ministerpräsident der von Russland annektierten Halbinsel Krim, und Zaur Smirnow, Minister für internationale Beziehungen. Sie erhielten ihre Posten im Februar 2014 durch ein Referendum, das von der EU bis heute nicht anerkannt wird. Auch die Schweiz schloss sich ­dieser Haltung an.

Ammann hat bei den   zwei Krim-Ministern offenbar Eindruck gemacht. Nur wenige Tage später lässt Zaur Smirnow über die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti verlauten, dass eine Delegation Investoren aus Italien und der Schweiz bald auf die Krim reisen werde. Er   spricht von erwarteten mehreren Milliarden Dollar. Das habe man während der 2000-Jahr-Feier vereinbart.

Ein anderer Besucher bestätigt, dass sich einige italienische Be­sucher über die Möglichkeiten auf der Krimerkundigt haben. Gerhard Ammann, unterwegs mit den   Italienern, war der einzige Schweizer Teilnehmer in Derbent.

Die Schweiz beteiligt sich zwar nicht an den Sanktionen der EU gegen Russland. Doch sie hat Massnahmen beschlossen, um ein   Umgehen der EU-Sanktionen über die Schweiz zu verhindern: unter anderem ein Verbot neuer Geschäftsbeziehungen mit Personen, die im Zusammenhang mit der Annexion der Krim stehen. Dazu hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine Liste mit «verbotenen» Personen publiziert. Weder mit ­ihnen noch mit Per­sonen, die auf deren Anweisung handeln, dürfen neue Geschäftsbeziehungen entstehen.

Ammann sagt, er habe kein Interesse, dort zu investieren

An erster Stelle der Liste steht der   Ministerpräsident der Krim, Sergei Aksjonow. Ihm direkt unterstellt sind die Minister Ruslan Balbec und Zaur Smirnow, die auf dem Foto den Bank-Von-Roll-Präsidenten in ihre Mitte nahmen.

Der Name Derbent kommt aus   dem Persischen und bedeutet «Verschlossenes Tor». Und das wäre es für Ammann besser geblieben. Denn die Episode in Derbent und die offensive Kommunika­tion der beiden Krim-Minister bringt ihn in Bedrängnis. Gerhard Ammann stellt klar, er sei als Privatperson auf Einladung eines Bekannten aus Italien in Derbent gewesen und nicht in seiner Funktion als Ver­waltungsrats­präsident der Bank Von Roll. Als «kulturinteressierte Person» sei es   eine willkommene Gelegenheit ge­wesen, die Stadt kennen zu ­lernen. Die nicht staatliche Agentur Interfax berichtete aber, dass ­Ammann an Gesprächen über das touris­tische Potenzial Derbents teil­genommen habe.

Weiter sagt Ammann, er habe sich an der Feier mit niemandem über die Krim unterhalten, und ­dementiert den Bericht von RIA Novosti: «Ausserdem habe ich auch kein Interesse, in dieser ­Region zu investieren.»

Bei Nachfragen zu den Namen Ruslan Balbec und Zaur Smirnow gibt Ammann an, diese nicht zu kennen. Er sei rein zufällig mit den beiden Krim-Ministern fotografiert worden.

Erschienen am 18. Oktober 2015 in der SonntagsZeitung

Die Mächtigen von Bern

Die laufende Legislatur des Schweizer Parlaments neigt sich dem Ende zu. Vier Jahre haben die gewählten Politiker im Nationalrat und im “Stöckli” überlegt, diskutiert, die Hände gerungen und gestritten. Doch wer hat wirklich Macht im Bundeshaus? Und wer spielt nur eine Statistenrolle?

In einem grossen Parlamentarier-Rating wurde jeder einzelne Politiker bewertet. Die Kategorien waren ihre Aufgaben in Kommissionen, Parlament und ihrer Partei, aber auch Medienpräsenz und das Kollegenurteil. Dieses Jahr ist das Rating sogar multimedial!

Sieger des Ratings ist SP-Präsident Christian Levrat…

Das ganze Projekt gibt es hier: DAS PARLAMENTARIER-RATING

Das Geschäft mit den falschen Waisen

Experten warnen vor Freiwilligenarbeit in Waisenhäusern. Menschenhändler in Nepal nutzen die Grosszügigkeit westlicher Spender aus.

Als Joanie den goldenen Palast vor sich sieht, kommen ihr die Tränen: «Hier ging das ganze Geld hin», schluchzt sie und dreht sich weg. So sehr hatte sie gehofft, dass es das Waisenhaus nicht mehr gibt. Doch hier steht es: ausgebaut zur Traumvilla. Mit goldenen Ver­zierungen und grossen Fenstern. ­Neben den vom Erdbeben zerstörten Häusern wirkt es makaber und lächerlich.

Vor sechs Jahren hat die Amerikanerin zusammen mit ihrem Freund Mark in diesem Haus Freiwilligenarbeit geleistet. Als Volunteers, Freiwillige, die sich im Ausland in Hilfsprojekten engagieren, kamen sie nach Nepal. Hochmotiviert, Gutes zu tun. Doch bald merkte Joanie, dass ­etwas nicht stimmte: «Die Kinder wurden in kleinen Räumen ge­halten und kriegten nur Reis». Sie habe auch Geschenke mitgebracht: «Doch diese wurden in ein Zimmer gesperrt und später verkauft. Die Kinder sahen davon nie etwas.» Dann merkte Joanie, dass die Heimleiterin die Kinder schlug, einem Kind wurde der Arm gebrochen. Nach nur einer Woche hatten die zwei Kalifornier das Waisen­haus frustriert verlassen. Zu Hause angekommen, meldeten sie ihre schlechten Erfahrungen bei der Vermittlungsagentur. Diese versprach, sich darum zu kümmern.

«Diese Bilder konnte ich nie mehr vergessen», sagt Joanie. Deshalb ist sie zusammen mit Mark nochmals nach Nepal geflogen. Sechs Jahre nach ihrem schlechten Erlebnis im Waisenhaus. Sie wollen sicher sein, dass die Vermittlungsagentur tatsächlich etwas gegen die Besitzer des Hauses unter­nommen hat.

Die Köchin des Waisenhauses öffnet die Tür. Sie dürfe nichts sagen, murmelt sie. Aber ja, hier würden noch die Besitzer des Waisenhauses wohnen: «Die Kinder wurden weggebracht.» Wohin? «Das weiss ich nicht.» Mit dem Geld von Freiwilligen wie Joanie und Mark haben sich die Besitzer des Waisen­hauses einen Palast gebaut – anstatt für die Kinder zu sorgen.

In Nepal befinden sich die meisten Waisenhäuser in Stadt- und Touristenregionen. Von 200 Institutionen sind nur 20 staatlich organisiert. Der Rest wird von Privaten verwaltet. Ihr einziges Einkommen sind ausländische Spenden und die Gebühren von Volunteers. Bis zu 500 Franken bezahlen Europäer für eine Woche Freiwilligenarbeit. Vermittlungsagenturen zwacken etwa ein Zehntel für administrative Kosten ab. Doch es bleibt immer noch sehr viel Geld für die Verwalter der Waisenhäuser. In Nepal liegt der durchschnittliche Monatslohn bei 50   Franken.

Das Geschäft mit den Waisenhäusern ist lukrativ. Das schnelle Geld begünstigt Betrüger und Menschenhändler. Gemäss einer Studie von Unicef sind rund 80 Prozent der Waisen gar keine richtigen Waisen. Das heisst, sie haben noch mindestens ein Elternteil, der sich um das Kind kümmern könnte. Weitere Studien ­zeigen ähnliche Zahlen.

Auch Schweizer Organisationen bieten Einsätze mit Waisen an

Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung über 15   Jahre engagiert sich freiwillig. Gemäss einer Erhebung der Universität Bern finden fünf Prozent dieser Einsätze ausserhalb der Schweiz statt. Hochgerechnet sind dies über 80 000 Schweizer, die Freiwilligenarbeit im Ausland leisten. Wie viele davon nach Nepal reisen, ist schwierig einzuschätzen. Die grossen Agenturen geben an, jährlich je rund 200   Schweizer nach Nepal zu vermitteln.

Auch in der Schweiz werden Einsätze mit Waisen offeriert. Bei Praktikum.ch (Globetrotter Group) kostet ein solches Projekt inklusive Yogalektion 800 Franken für drei Wochen. Wie kann Globetrotter gewährleisten, dass bei den Projekten keine Kinder zu Schaden kommen und es sich um richtige Waisen handelt? Man führe die Projekte nicht selbst durch, sagt eine Sprecherin, sondern über die Partnerorganisation Travelworks. Diese kontrolliere die Projekte persönlich vor Ort. Doch bei Travelworks will man auf Anfrage keine weiteren Auskünfte geben. Pro Linguis bietet auf ihrer Website auch Einsätze mit Waisen via einen Partner an. Man nehme selbst an Projekten teil, meldet Pro Linguis: «Es ist uns ein Anliegen, uns ein Bild vom Programm und der Umgebung zu machen».

Kinder verlieren Kontakt zu  ihren Familien

Diese falschen Waisen seien Opfer von Menschenhändlern, erklärt Martin Punaks von Next Generation Nepal, einer Nichtregierungsorganisation (NGO) .

Die Nepalesen wissen: Bildung ist der einzige Weg aus der Armut. Mit dem falschen Versprechen, ihre Kinder in eine privilegierte Schule zu schicken, werden die ­Eltern überredet, ihr Kind abzugeben. Für diesen Service bezahlen die Eltern um die 450   Franken. In guten Fällen gehen sie zwar tatsächlich zur Schule, doch sie wachsen getrennt von ihren Familien auf und dürfen nicht darüber sprechen, dass sie noch Eltern haben.

Die hohe Nachfrage für Hilfs­einsätze durch Freiwillige aus dem Westen fördere dieses Business, sagt Punaks. Seine Organisation kämpft gegen Menschenhändler dieser Art und versucht, die falschen Waisen wieder nach Hause zu bringen. Die Händler würden vor nichts zurückschrecken: «Oft werden die Kinder geschlagen, damit sie bemitleidenswerter aussehen». Und es würden Dokumente gefälscht, um Waisen zu erschaffen, die gar keine sind.

Genauso erging es Meena, einem Mädchen aus der ländlichen Region Nepals. Ein Bekannter aus dem Dorf überredete Meenas ­Mutter, ihre Tochter abzugeben. Dem Waisenhaus legte er gefälschte Papiere vor. Dort stand, dass Meenas Eltern im Sterben liegen würden und sie bald allein wäre.

Doch Meena hatte Glück. Eine Mitarbeiterin von Next Generation Nepal bemerkte, dass Meenas Erzählungen über ihre Eltern nicht den offiziellen Dokumenten entsprachen. Sie ging der Sache nach und fand die Familie, die nicht wusste, wo Meena hingebracht wurde. Nun ist das Mädchen wieder bei ihrer Familie und besucht die reguläre Dorfschule.

Das Problem wird sich durch das Erdbeben verschärfen

Punaks befürchtet, dass durch das erdbebenbedingte Elend mehr ­Familien bereit sind, ihre Kinder wegzugeben. Die nepalesische Regierung hat dies erkannt und versucht, das kinderschädigende Business zu stoppen. Neue Waisenhäuser wurden verboten, ebenso das Platzieren neuer Waisen ohne Bewilligung durch die Regierung. Seit dem Erdbeben vor zwei Monaten haben die lokalen Behörden schon 250   Kinder abfangen können, die mit Menschenhändlern auf dem Weg zu einem Waisenhaus waren.

Nach solchen Katastrophen würden sich diese Probleme verstärken, sagt Emmanuelle Werner von Friends International, einer Genfer NGO, die sich gegen diese Art von Freiwilligenarbeit einsetzt. Das habe man nach dem Erdbeben in Haiti und dem Tsunami gesehen. Volunteering in Waisenhäusern sei nie eine gute Option: «Wir dürfen nicht in eine Diskussion über gute oder schlechte Waisen­häuser verfallen». Kinder würden als Waren eingesetzt, um Spenden anzulocken. Es brauche ein Umdenken: «Anstatt mehr Waisen zu schaffen, sollen Projekte unterstützt werden, die die Familien stärken».