«Dieses Hochschaukeln ist gefährlich»

Das zivile Engagement gegen die DSI war einmalig, sagt Politologe Mark Balsiger. Er macht einen Ausblick, wie es nun mit dieser Bewegung, der SVP und den Parteien weitergeht.
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Die DSI-Abstimmung wurde von einem grossen Engagement der Zivilbevölkerung begleitet. Wieso kam es gerade jetzt dazu?

In den letzten Monaten wurde vielen Leuten klar, dass es um viel mehr geht als bei üblichen Abstimmungen. Angeheizt wurde dies sicher auch durch den intensiven Diskurs in den Medien. Irgendwann setzte eine Eigendynamik ein. Immer mehr Leute nahmen an der Debatte teil und zogen ihr Umfeld mit. Eine Kritik: Das Nein-Lager hat in den letzten Wochen die DSI zur Übervorlage aufgeblasen. Die Abstimmung wurde zur alles entscheidenden Frage hochstilisiert: zum «to be» oder «not to be». Das ist gefährlich.

Wieso gefährlich?
Man kann den Abstimmungskampf nicht jedes Mal auf die Spitze treiben. Das hatten wir schon bei der EWR-Abstimmung 1992, wo die Stimmbeteiligung mit 78 Prozent noch höher war als jetzt bei der DSI. Damals hiess es auf beiden Seiten, die Schweiz werde untergehen. Doch das hat sich dann ja nicht bewahrheitet. Dieses Hochschaukeln ist gefährlich, weil so das Publikum abstumpft. Es kann nicht immer um tutti gehen.

Wie einmalig war dieser Aufstand der Zivilbevölkerung?
Die Zivilgesellschaft ist insbesondere auf kommunaler Ebene immer wieder aktiv. Vor allem geplante Bauvorhaben oder Gemeindefusionen treffen auf orchestrierten Widerstand. Wo die Politik nahe an den Stimmbürgern ist, hat das Engagement eine lange Tradition. Man kennt sich. Doch auf nationaler Ebene habe ich noch nie ein so grosses ziviles Engagement gesehen. Zigtausende haben sich in den letzten Wochen aus eigenem Antrieb und in Solo-Aktionen für ein Nein stark gemacht – es sind Normalos wie Sie und ich.

Musste die Zivilgesellschaft einspringen, weil die Parteien versagt haben?
Nein, so würde ich es nicht sagen. Die Bewegung wurde von ein paar cleveren Köpfen angerissen. So kamen ganz verschiedene Gruppen zusammen. Die Parteien waren vom Wahljahr ausgelaugt, und die Wirtschaftsverbände wollten kein Geld geben. Ich deute dies aber nicht als Misstrauen gegenüber den Parteien. Es gab auch nicht – wie einige jetzt sagen – ein Momentum. Es kamen einfach neue Akteure dazu, und das ist gut so. Ich habe beobachtet, dass sich viele apolitische Leute engagiert haben. Vielleicht haben jetzt einige auch gemerkt, dass Politik gar nicht so kompliziert ist und es sogar spannend ist, sich einzusetzen. Eine überdurchschnittliche Teilnahme stärkt auch die Demokratie.

Werden die Parteien versuchen, diese «cleveren Köpfe» bei sich einzubinden?
Die Parteien werden jetzt die Nähe zu den Schlüsselfiguren dieses zivilen Aufstands suchen. Die eine oder andere Person wird wohl auch ein Angebot zum Parteibeitritt erhalten. Ich erachte es aber als unwahrscheinlich, dass diese Figuren einer Partei beitreten werden. Nehmen wir beispielsweise eine Flavia Kleiner. Sie weiss, dass sie sich mit einem Beitritt viel vergeben würde. Sobald sie eine Parteifarbe hätte, würde sie viel von ihrem Ruf und ihrer Unabhängigkeit verlieren. Sie ist zwar liberal, also den Freisinnigen nahe, doch sie weiss, dass sie bei einem Beitritt schubladisiert würde.

Die Zivilgesellschaft wird also zur Konkurrenz für die Parteien? Die Parteien sind jetzt noch mehr herausgefordert. Bisher waren sie mit ihren bescheidenen Ressourcen schon anderen Akteuren wie NGOs und Verbänden unterlegen. Mit einer wachen Zivilgesellschaft im Rücken müssen auch die Parteien proaktiv bleiben. Man darf das Engagement der Zivilgesellschaft allerdings nicht überschätzen. Ein Aufstand wie bei der DSI wird sich so schnell nicht wiederholen. Es hängt bei jeder Abstimmung von der Brisanz der Vorlage und von Einzelpersonen ab, die im richtigen Moment andere mitreissen können. Jetzt sind diese Figuren ausgepowert. Das Milizengagement dauerhaft zu beanspruchen, funktioniert in unserer Kultur nicht. Es wird hier zu wenig geschätzt. In Amerika ist Freiwilligenarbeit auf politischer Ebene im Lebenslauf beispielsweise sehr gern gesehen, in der Schweiz beeindruckt man damit niemanden.

Können wir beim kommenden Referendum zum Asylgesetz wieder mit einem grossen Engagement rechnen?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Weil die Vorlage vom Bundesrat kommt, hat sie schon ein grundsätzliches Vertrauen von der Bevölkerung. Ausserdem sind bei dieser Vorlage die Lager schon definiert. Die Vorlage hat nicht die gleiche Schärfe wie die DSI.

Nach der gestrigen Abstimmung ist von einer «gebrochenen Serie» die Rede. Haben SVP-Initiativen in Zukunft einen schweren Stand?
Nein. Es ist ein wichtiger Etappensieg für die anderen Parteien und für die Gegner der SVP. Doch man muss auch einen Schritt zurück machen und diese «Serie» einmal genau anschauen. Die SVP ist rhetorisch viel geschickter als die anderen Parteien. Sie hat die Deutungshoheit und diktiert die politische Agenda der Schweiz. Deshalb meint man, ihre Initiativen seien sehr erfolgreich. Schaut man genau hin, sieht man aber: Das ist keine Serie von Erfolgen. Von den eigenen Initiativen hat die SVP in den letzten 20 Jahren nur zwei durchgebracht.

Die SVP muss mit der DSI eine bittere Niederlage einstecken. Wird sich die Partei jetzt mässigen?
Im Gegenteil. Die SVP weiss ganz genau, dass sie in Schwung bleiben muss. Dies macht sie mit regelmässigen Volksinitiativen seit den 1990er-Jahren, gezielten Provokationen und auch einmal einem Tabubruch. Wie ein Rad, das immer weiterdreht. Wenn sie jetzt entschleunigt, wird sie weniger attraktiv. Auch würde sich dann am rechten Rand des politischen Spektrums wieder mehr regen. Die SVP würde Wähler verlieren, und das will sei auf keinen Fall. Schon im Vorfeld der Wahl für den zweiten SVP-Bundesratssitz wurde spekuliert, ob die Partei sich mässigen werde. Das können wir vergessen.

Der Abstimmungskampf zur DSI war auf beiden Seiten geprägt von Symbolik: Wut- gegen Mutbürger. Müssen wir uns jetzt auf weitere derart polemische Abstimmungen einstellen?
Ja, leider. Ich beobachte regelmässig eine Rhetorik, die unschweizerisch ist und viele Leute abschreckt. Es ist eine komplette Verrohung im politischen Diskurs. Diese Entwicklung macht mir Angst. Wo es hinführen kann, sehen wir zurzeit bei den US-Präsidentschaftswahlen, bei denen man sich nur noch schämen kann. Wie man diese Entwicklung in der Schweiz stoppen oder dämpfen kann, weiss ich nicht.

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