Bitte nicht öffentlich kuscheln!

Die türkische Religionsbehörde will Verlobten vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Händchenhalten gilt als unsittlich. Das ist nicht die einzige abstruse Weisung.

Verliebt, verlobt – und unerwünscht. In der Türkei erhitzt zurzeit eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, die Gemüter. Die sogenannte Diyanet, das Amt für religiöse Angelegenheiten, will mit dem Schreiben Verlobten vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. «In dieser Phase ist es nicht ungewöhnlich, dass Paare sich treffen und miteinander reden, um sich kennen zu lernen», heisst es in dem Gutachten. Doch es könne auch zu «unerwünschten Ereignissen» kommen. Flirten und Händchenhalten gelten demnach als unsittlich. Genauso untersagt ist jegliches «anderes Benehmen, das im Islam nicht gebilligt werde». Deshalb sollen verlobte Paare gar keine Zeit nur zu zweit verbringen, schlägt die Fatwa vor. Dies fördere Tratsch und Klatsch.

Auf Twitter machen sich junge Türken über die Fatwa lustig

Die Fatwa wird in türkischen Medien und auf Twitter zurzeit heiss diskutiert. Tatsächlich spaltet sich die Türkei in gesellschaftlichen Fragen – wie eben über das Liebesleben. Während in ruralen Gebieten solche Regeln durchaus beherzigt werden, können junge Paare in Grossstädten nur spotten: «Verlobte dürfen durchaus via Whatsapp miteinander kommunizieren, aber sie sollten dabei keine Emojis verwenden. Die Diyanet ist wohl etwas verwirrt», schreibt ein User auf Twitter.

Die Diyanet, ein Bürokratiemonster, beschäftigt 100’000 Mitarbeiter und schluckt über eine Milliarde Franken an Steuergeldern jährlich. Sie entstand nach dem Untergang des Osmanischen Reichs, als die Republik gegründet wurde. Gemäss der türkischen Verfassung ist die Behörde unter anderem für die Aufklärung der Bevölkerung über religiöse Werte zuständig.

Eine Fatwa hat keine Gesetzeskraft

Die Diyanet gibt regelmässig Ratschläge, wie religiöse Werte in der Praxis zu leben sind. Nach dem Toilettengang solle man sich beispielsweise nur mit Wasser waschen, vermeldete die Behörde im Frühjahr. Doch sei kein Wasser verfügbar, dürfe ausnahmsweise auch Toilettenpapier verwendet werden. Das Badezimmer soll zudem zuerst mit dem linken Fuss betreten werden. Beim Hinausgehen soll dann der rechte Fuss vorausgehen. Auch erlaubt ist die Benutzung von Putzmitteln mit Alkohol, doch nur solange der Alkohol darin nicht konsumiert werde.

Gesetzlich relevant ist eine Fatwa in der Türkei nicht, sie gilt als Anleitung für das gesellschaftliche Leben. Kritiker sehen in den Gutachten jedoch eine Gefährdung der Trennung zwischen Staat und Religion, wie sie zur Geburt der Republik unter ihrem Gründer Atatürk etabliert wurde. Sie protestieren gegen die schleichende Islamisierung der Türkei und werfen dem jetzigen Präsidenten Erdogan vor, diese aktiv voranzutreiben.

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