«Die SP ist zu einseitig links positioniert»

Dieses Interview ist am 25. Oktober 2015 in der SonntagsZeitung erschienen. Besten Dank an Pascal Tischhauser, der mit mir zusammen gefragt, geschrieben und gefeilt hat. Und an Joseph Khakshouri  für die tollen Bilder (mehr davon gibt’s auf http://www.josephk.us

Daniel Jositsch findet, die Sozialdemokraten müssten rechts wachsen. Der neu gewählte ­Zürcher Ständerat über seinen Erfolg, tägliche Fitness und den Reiz von Spaghetti

An seinem Arbeitsplatz an der Universität Zürich empfängt uns der Strafrechtsprofessor und zukünftige Ständerat Daniel Jositsch. Der bestgewählte Sozialdemokrat ist gut gelaunt und strotzt vor Selbstvertrauen.

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Daniel Jositsch: “Wir müssen rechts wachsen” Bild von Joseph Khakshouri / SonntagsZeitung

Herr Jositsch, Sie sind gleich im ersten Wahlgang in den Ständerat gewählt worden. Und Sie sind Panaschierkönig. Wie haben Sie das geschafft?

Ich habe in meinen acht Jahren im Nationalrat stets versucht, Politik zu machen, die mir entspricht. Das scheint Wähler über die Parteigrenzen hinaus anzusprechen. So schrieben SVP-Wähler meinen Namen wohl wegen meiner Law-and-order-Politik auf. Bei der FDP ist es vielleicht auch meine Pragmatik bei der Sicherheit, zum Teil aber auch meine wirtschaftlichen Positionen oder das Bekenntnis zu den bilateralen Verträgen.

Anders gesagt, Sie werden gewählt, weil Sie keine SP-Positionen vertreten.

Halt, ich politisiere zum allergrössten Teil auf SP-Linie. Aber wenn man als Politiker einmal eine andere Haltung als seine Fraktion vertritt, steht das in der Zeitung. Aber keine Zeitung berichtet darüber, wenn man die Parteiposi­tion vertritt. So entsteht rasch der falsche Eindruck, dass jemand nie auf Linie sei. Manchmal auch bei den eigenen Leuten.

Kommt daher der Vorwurf, Sie seien gar kein Linker?

Dabei gibt es meines Wissens im ganzen Land keinen Sozialdemokraten, der mehr sozialdemokratische Listenstimmen bekommt. Das mag jetzt arrogant klingen: Meine Positionen werden von vielen sozialdemokratischen Wählern geteilt. Es sind nun einmal nicht die Delegierten, die die Position der SP diktieren, sondern unsere Wählerinnen und Wähler.

Bei Ihnen scheint die politische Karriere wie am Schnürchen zu laufen. Ist das alles so geplant?

Ach was, da ist nichts geplant. Und es läuft auch nicht alles so glatt. Aber es ist lustig, welche Etiketten man mir anhängt: Als ich mich vor einem Jahr entschied, nicht für den Regierungsrat zu kandidieren, sagte man mir, ich hätte mein Loser-Image besiegelt…

 Erst gegen Stocker zu verlieren und dann nicht einmal den Mut haben, es nochmals zu versuchen. Und jetzt ist es plötzlich das Gegenteil. Nun heisst es, Jositsch gewinne immer. Beides ist falsch.

Aber offenbar waren Sie der richtige Kandidat.

Ich war für die Partei der aussichtsreichste Kandidat. Das war ich, weil ich schon vor vier Jahren das beste Resultat hatte.

Sie profitierten davon, dass man Sie als Strafrechtler aus den Medien kennt.

Vermutlich. Ich weiss aber nicht, ob das den Ausschlag gab. Aber ich habe sicher den Vorteil, dass ich tatsächlich Milizpolitiker bin – auch medial. Ich übe einen Beruf aus, der mir auch über mein politisches Mandat Medienpräsenz verleiht. So kann ich mich auch zu Dingen äussern, die nicht politisch sind.

SP-Präsident Christian Levrat sagt, das Milizsystem sei eine ­Illusion, man könne als Milizpolitiker nicht weit kommen.

Das bezweifle ich. Es stimmt aber, dass das Milizsystem heute schwierig umzusetzen ist. Unser Parlament ist nämlich auf etablierte Herren Mitte fünfzig ausgelegt, deren Frauen ihnen den Rücken freihalten und den Haushalt besorgen. Der Mann reist dann halt viermal für drei Wochen nach Bern, ansonsten ist er Bankdirektor oder Firmeninhaber. Heute funktioniert das nicht mehr so. Aber vom Prinzip her ist das Milizsystem hervorragend, denn es garantiert, dass die Politiker unabhängig bleiben.

Anders als Sie war die SP bei den Wahlen nicht so ­erfolgreich. Sie hat drei Sitze eingebüsst. Was hat die Partei falsch gemacht?

Ihr Abschneiden hat verschiedene Gründe. Vor allem spielte uns die politische Grosswetterlage nicht in die Hände. Da können Sie verhältnismässig wenig dagegen tun.

Das klingt nach Ausrede. Vor vier Jahren war Fukushima schuld, heute die Flüchtlinge. Das ist doch zu einfach.

Aber es ist so: Mit dem Label «grün» haben Sie Wind im Segel, wenn ein Atomunglück wie in Fukushima passiert. Aber bei einer Flüchtlingswelle kommen Sie mit «grün» selbst mit einem Joschka Fischer nicht vorwärts.

Man sollte die Fehler auch bei sich selber suchen.

Gut, machen wir die Analyse: Die SP hat 2003 letztmals richtig Wähler gewonnen. 2007 haben wir sehr stark verloren, 2011 ganz wenig eingebüsst, und jetzt stagnieren wir. Sie können uns vorwerfen, dass wir nicht vom Fleck kommen. Ich sage: Die SP schöpft ihr Potenzial gegen die Mitte hin nicht aus. Die SP ist zu einseitig linkspositioniert. Man muss diese linke Haltung nicht aufgeben, aber unsere Partei schränkt sich zu sehr ein.

Sie meinen also, Ihre Partei sollte sich breiter aufstellen?

Genau. Viele unserer gut gewählten Politiker gehören dem gemässigten Flügel an, so wie Pascale Bruderer, Mario Fehr oder auch ich selbst. Es ist ein Fehler, dass sich die SP linker positioniert als viele ihrer Wähler. Die Partei lässt zwar einen rechten Flügel zu, vertritt aber einseitig linkere Positionen.

Führt das dazu, dass Sie nur in den Städten reüssieren?

Zumindest verschärft das die Situation, da die Städte ja tenden­ziell linker sind als das Land. Darum braucht es in ländlicheren Kantonen auch Köpfe, die eher in Richtung Mitte politisieren. Die SP hat vor acht Jahren gesagt, sie wolle 30 Prozent der Wählenden erreichen. Davon redet heute zwar keiner mehr – aber als grosse Volkspartei muss sich die SP die 30 Prozent als Ziel setzen. Dazu brauchen wir mehr gemässigte Mittestimmen. Links von uns ist das Wählerreservoir verschwindend klein. Wir müssen rechts wachsen, so wie Simonetta Sommaruga und Rudolf Strahm es einmal mit ihrem Gurten-Manifest versucht haben. Damals wäre es sogar noch einfach gewesen, denn es gab noch keine Grünliberalen und keine BDP.

Aber diese Mitteparteien haben auch verloren.

Wegen der Grosswetterlage, wie gesagt. Aber das Potenzial ist nach wie vor da. Doch in der Mitte gibt es so etwas wie eine Firewall zur SP. Alles, was nach Armeeabschaffung und Kapitalismusüberwindung riecht, bleibt hängen. Wenn die SP aber Kandidaten bringt, denen diese Gerüche nicht anhängen, schlüpfen sie durch die politische Firewall. Solche Kandidaten können Wähler ansprechen, die sonst nicht zu unserem Wähler­potenzial gehören.

Die Mitteparteien wollen sich zu einem Block formieren. Wie muss die SP darauf reagieren? Näher an die Grünen heranrücken oder eher in der Mitte Verbündete suchen?

Die SP muss sich auf beide Seiten öffnen. Ich glaube, es war Helmut Hubacher, der einmal gesagt hat, ein Vogel brauche zwei Flügel zum Fliegen. Darum schaden die Flügelkämpfe in unserer Partei auch. Es braucht eine Grundstruktur für die Sozialdemokratie, zu der wir uns alle bekennen, und es gibt untergeordnete Themen. Nehmen Sie das Büpf …

… das Gesetz zur Überwachung von Post, Telefon und Internet.

Ja, darüber werden wir bald wieder an einer Delegiertenversammlung streiten. Am Ende werden wohl 60 Prozent der Delegierten gegen rund 40 Prozent stehen, ich vermute gegen das Büpf. Und die Medien werden schreiben, die SP stelle sich beim Büpf gegen ihre ­eigene Bundesrätin. Dabei müsste man unaufgeregt sagen, die Kommunikationsüberwachung ist kein sozialdemokratisches Kernanliegen. Jeder kann also eine andere Meinung dazu haben. Juso-Chef Fabian Molina darf doch gegen das Büpf sein. Es trennt uns nicht. Wer Molina darum nicht wählen will, kann ihn streichen. Und niemand, der mich nicht möchte, wählt auch Molina nicht, nur weil er auf derselben Liste steht. Nein, er streicht mich einfach. Um 30 Prozent der Stimmbevölkerung zu erreichen, brauchen wir eine SP von Molina bis Jositsch.

Neben den Inhalten sind es die Köpfe, die wahlentscheidend sind. Hier bemängeln einige, es fehle an Planung, um diese Köpfe aufzubauen.

Welche Partei macht das schon? Die Auswahl der Kandidaten erfolgt bei den Wahlen; die Wählerinnen und Wähler entscheiden, wer gewählt werden soll.

Einen herben Verlust musste die SP mit der Abwahl des Fraktionspräsidenten Andy Tschümperlin hinnehmen. Kommt für seine Nachfolge nur eine Frau aus der ­Deutschschweiz infrage?

Nein, wir brauchen die beste Person für diesen Job – egal, ob Frau oder Mann. In der heutigen Situation ist das wohl aber jemand aus der Deutschschweiz, der diese gut kennt und nicht nur gut Deutsch spricht. Und es muss ein Berufspolitiker sein. Zudem muss die Person in der Fraktion integrativ wirken, sie darf nicht zu weit rechts oder links stehen, sollte schon in die zweite Amtsperiode gewählt worden sein und muss mit den anderen Fraktionspräsidenten verhandeln können. Ideal wäre es, wenn diese Person auch rhetorisch gut und ein Stratege wäre.

Lassen Sie alle Fraktions­mit­glieder durch diesen Filter laufen, kommt dabei überhaupt noch jemand ­heraus?

Ich sähe Barbara Gysi, sie war ja bereits in St. Gallen Fraktionspräsidentin. Aber auch Chantal Galladé wäre eine …

… mit ihr waren Sie liiert, da sind Sie nicht ganz objektiv.

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Daniel Jositsch in der Rechts-Bibliothek an seinem Arbeitsort an der Rämistrasse in Zürich. Bild: Joseph Khakshouri / SonntagsZeitung

Sie wäre geeignet. Gerade auch, weil sie bilingue ist. Sie ist nicht nur zweisprachig, sondern kennt als Walliserin auch die welsche Seele. Zudem hat sie eine grosse Akzeptanz über die Parteigrenze hinaus. Prisca Birrer-Heimo und Silvia Schenker kommen mir ebenfalls in den Sinn. Auch Beat Jans käme infrage. Eric Nussbaumer wäre ebenfalls eine Variante.

Zurück zu Ihnen. Was braucht es aus Ihrer Sicht, um in der Politik zu reüssieren? Disziplin, Ehrgeiz, Intelligenz, Netzwerk oder Sympathie?

Disziplin ist am wichtigsten.

Diese sagt man Ihnen ja auch nach. Treiben Sie immer noch jeden Tag Sport?

Ja, ich mache jeden Morgen Fitness.

Sie gehen ins Fitnesscenter?

Nein, ich habe einen Crosstrainer zu Hause.

Ist das nicht langweilig, sich auf dem Crosstrainer abzurackern?

Nein, erstens kann ich dabei gut denken oder auch DVD schauen. Und sogar telefonieren oder Mails beantworten geht prima.

Gibt es da eine bestimmte Serie, die Sie schauen?

Da gibt es verschiedene. Natürlich habe ich als Politiker auch ­«House of Cards» gesehen. Die Serie ist aber übertrieben und weit von der schweizerischen Realität entfernt.

Wie verbringen Sie sonst Ihre Freizeit?

Ich habe bekanntlich einen Sohn. Wenn ich einen freien Abend habe, verbringe ich ihn mit ihm.

Ein Geniesser, der gernegut essen geht, sind Sie also nicht?

Doch, das kommt schon mal vor. Aber als Parlamentsmitglied isst man so oft auswärts, dass ich in meiner Freizeit lieber mit Pantoffeln an den Füssen auf dem Sofa vor dem Fernseher sitze und einen Teller Spaghetti esse. Essen gehen hat einfach keinen Reiz. Ich will in der Freizeit das machen, was ich sonst nicht mache.

Ihr Leben scheint sehr ­arbeitsreich. Fasziniert Sie ausser Arbeit nichts?

Ich habe mir als Jugendlicher ein Ziel gesetzt: keine Ferien brauchen zu müssen. Mein Ziel ist es, ein Leben zu führen, von dem ich keine Erholung brauche, weil es die Erholung schon beinhaltet. So wandere ich in meiner Freizeit zwar gerne, aber das auch, weil ich dabei planen kann. Das heisst, ich gehe dann mit einer Pendenzenliste und einem Kugelschreiber aus dem Haus.

Sind Sie ein Workaholic?

Keine Ahnung. Ich weiss nicht, wie man das definiert. Aber ich arbeite einfach gerne, und wenn ich müde bin, gehe ich schlafen.

In Ihrem Büro hängt ein Poster von Dürrenmatt. Jetzt ist Lukas Bärfuss wie ein ­Dürrenmatt oder Frisch in der FAZ ebenfalls als Nest­beschmutzer aufge­fallen. Hat er recht, wenn er den Parteien vorwirft, dass niemand den Mumm hat, der SVP zu ­widersprechen?

Intellektuelle Kritiker haben eine spezielle Rolle. Sie sind Betrachter von aussen, die pointiert auftreten müssen. Seine Kritik ist berechtigt. Grundsätzlich finde ich es gut, dass es Mahner gibt, die nicht nur klatschen oder Buh rufen.

War es denn jetzt im Nachhinein richtig, dass die SP den Schlagabtausch mit der SVP nicht gewagt hat?

Das ist eine Diskussion, die man innerhalb der Partei immer wieder führt. Beim Asylthema ist die entscheidende Frage, was wir hätten gewinnen können. Ich denke, nichts. Je wichtiger ein Thema ist, desto grösser ist die Gefahr, dass man damit verliert. Wichtiger scheint es mir, die Politik umzusetzen, und das versuchen wir.

Populismus und antisemitische Äusserungen nehmen aber laufend zu, und laut Bärfuss schweigen alle. Irgendwann ist es doch zu spät.

Mit Widerspruch alleine gewinnen Sie nichts. Die Frage ist, wie wir die politischen Grundbedingungen steuern können, sodass sich die politische Stimmung im Land ändert. Zudem bestimmen ja die Journalisten, welche Aus­sagen öffentlich werden und welche nicht. Sie fragen, und ich antworte. Nehmen Sie die Bundesratswahlen. Wir Politiker würden nicht darüber sprechen, aber die Medienschaffenden fragen uns laufend ­danach.

Machen wir es eleganter: Wenn die SVP jetzt eine Initiative auf die Beine stellt, um die Europäische Menschenrechtskommission zu kündigen, darf sie dann noch in der Regierungsverantwortung stehen?

Das entscheidet die Bundesversammlung. Wir haben aber eine Regel, die Zauberformel. Ich halte mich strikt an diese. Ich wähle je zwei Mitglieder der drei grössten Parteien und eine der viertgrössten Partei. Aber ich wähle, welchen Vertreter einer Partei ich will, ob die Person nun vorgeschlagen ist oder nicht. So habe ich noch nie die Zauberformel gebrochen, auch nicht durch die Abwahl Christoph Blochers, denn Eveline Widmer-Schlumpf war eine SVP-Vertreterin.

Heute gehört sie der BDP an. Also wählen Sie Widmer-Schlumpf nicht mehr?

Doch, aus heutiger Sicht wähle ich sie. Aber die Bundesratswahlen sind im Dezember, und dann ­entscheide ich.

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