Kölner Skandalnacht: Eine Gratwanderung für die Medien

Die Übergriffe an Silvester fordern nicht nur Polizei und Politik, sondern auch die Journalisten. Es ist ein schmaler Grat zwischen verantwortungsvoller Berichterstattung und Selbstzensur.

Die Reaktionen auf die Übergriffe der Silvesternacht in Köln haben viel Protest ausgelöst. Kritik an der Polizei, weil sie zu zögerlich reagiert hat. Kritik an der Politik, weil sie die Vorfälle für eigene Zwecke missbraucht hat. Kritik an den Medien, weil sie Vermutungen zu Fakten umgewandelt haben.

Die Übergriffe wurden von Journalisten weltweit aufgegriffen. Während die ausländischen Medien von der «New York Times» bis zur rumänischen «Adevarul» schon schnell einen Zusammenhang zwischen Migranten, Merkels Asylpolitik und den Übergriffen sahen, winden sich die deutschen Leitmedien seit Tagen um die heikle Frage.

Die Medien hüten sich davor, vorschnelle Schlüsse zu ziehen

Für Journalisten sind solche Ereignisse eine Herausforderung. Sie stecken in der Zwickmühle zwischen verantwortungsvoller Berichterstattung und Selbstzensur. Übergriffe in einem solchen Ausmass hat es in Europa noch nicht gegeben. Dafür die richtige Sprache, das richtige Tempo zu finden, ist schwierig. Insbesondere, weil die Stimmung in den sozialen Netzwerken durch die Pegida, die Alternative für Deutschland und andere «besorgte Bürger», wie Politikverdrossene in Deutschland genannt werden, schon hitzig genug ist. Es ging nicht lange und die Vorsitzende der Alternative für Deutschland, Frauke Petry, meldete sich: «Ist Ihnen unser Land nun bunt genug, Frau Merkel?»

Die deutschen Medien hüteten sich in den letzten Tagen davor, vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Bei einem so heiklen Thema und der dünnen Faktenlage ist das wichtig und gut. In diesem Fall grenzte es jedoch teilweise an Selbstzensur. Das Paradebeispiel dieser Unsicherheit war der Versuch der Sendung «Heute Plus», auf Twitter die Zuschauer zu fragen, welche Berichterstattung adäquat wäre. «Was denkt ihr: Wie sollte @heuteplus über die Angriffe in der Silvesternacht in Köln berichten?» Die Reaktion der User war vernichtend. Zu Recht: Die Sendung gab ihre Unabhängigkeit und zu einem gewissen Teil auch ihre Legitimation als Meinungsmacher auf. Schliesslich verzichtete die Sendung am Montag komplett darauf, die Übergriffe aufs Programm zu nehmen, bezeichnete dies später aber als «klaren Fehler». Diese Unsicherheit zeigte sich auch am Donnerstag mit dem Publikwerden des Polizeiberichts der Silvesternacht. «Bild» und die «Süddeutsche Zeitung» druckten beide den Bericht unkommentiert ab. Keiner wollte sich die Finger verbrennen.

«Spiegel online» schreibt vom «Erziehungs-Journalismus»

Die Unsicherheit gipfelt eigentlich in einer Frage: Spielt es eine Rolle, ob die Täter «nordafrikanisches oder arabisches Aussehen» haben? In sozialen Netzwerken ging die Diskussion schnell in alle Richtungen los. Flüchtlinge, Muslime, Angela Merkel, Frauen, sie alle waren schuld, dass es so weit kommen konnte. Auch die Feministin Alice Schwarzer meldete sich zu Wort, indem sie die Vorfälle als «das Produkt einer falschen Toleranz» bezeichnete.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) teilte am Donnerstag mit, dass er eine Ausweisung straffälliger Asylbewerber nicht ausschliesst. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärte, die Abschiebung straffälliger Asylbewerber erleichtern zu wollen. «Wer schwere Straftaten begeht, in welchem Status auch immer er sich befindet, der muss damit rechnen, aus Deutschland abgeschoben zu werden», sagte der CDU-Politiker.

Währenddessen halten sich die deutschen Leitmedien in dieser Frage im Hintergrund. Der «Spiegel»-Kolumnist Jan Fleischhauer kritisiert dieses Verhalten der Medien und bezeichnet es als «Erziehungs-Journalismus». Es herrsche bei einem Teil der Bevölkerung der Eindruck, Medien würden eher einem pädagogischen als einem journalistischen Auftrag folgen. Bezugnehmend auf Köln nennt er das Beispiel des «braven Gewerkschaftsmanns» der Polizei, der ermahnt, dass der Kölner Sachverhalt nun vom rechten politischen Spektrum genutzt werden könnte. «Das ist das Enervierende am Nanny-Journalismus», schreibt Fleischhauer: «Es gibt kein Bild und keinen O-Ton, bei denen man den Menschen nicht dazu sagt, welchen Reim sie sich darauf zu machen haben.»

Es sind emotionale Tage für Deutschland. Das sieht man nur schon an der Reaktion auf die Ratschläge der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Nach den Übergriffen gab sie bei einer Pressekonferenz den Ratschlag, Frauen sollten eine Armlänge Abstand vor Fremden halten, um sich selbst zu beschützen. Naiv und respektlos sei das, wurde Reker auf Twitter beschimpft. Der Hashtag #einearmlaenge sammelte die wütigen Kommentare der Kritiker, die Reker vorwarfen, Vergewaltigungen zu verharmlosen.

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