UNO kritisiert die Schweiz, weil sie Flüchtlingen Bargeld abnimmt

Die Schweizer Behörden nehmen Asylbewerbern bei ihrer Ankunft das Vermögen ab. Für diese jahrelange Praxis hagelt es erst jetzt Kritik – unter anderem vom UNO-Flüchtlingshilfswerk. 

Die dänische Regierung diskutiert zurzeit über Verschärfungen im Asylwesen. Heftig umstritten ist der Vorschlag, Flüchtlingen Bargeld und Schmuck abzunehmen, um einen Teil der Kosten für Sozialhilfe und Unterkunft zu decken. Während die Dänen seit Tagen in der Kritik stehen, hat die Welt erst jetzt gemerkt, dass in der Schweiz diese Praxis schon lange Realität ist.

Flüchtlinge, die Vermögen im Wert von mehr als 1000 Franken besitzen, müssen den Rest bei der Ankunft in der Schweiz abgeben. Dazu zählt sowohl Bargeld wie auch Erspartes. Diese Handhabung ist nichts Neues, sie beruht auf einer Änderung des Asylgesetzes aus den 90er-Jahren. Doch im Kontext der dänischen Debatte rückt sie nun ins Blickfeld der internationalen Gemeinschaft. In der Sendung «10vor10» vom Donnerstag war zu sehen, wie die Behörden das Vermögen der Flüchtlinge bei deren Ankunft einziehen. Ein Syrer erzählte, dass er seine letzten Ersparnisse abgegeben habe. Geld, das er für neue Kinderkleider habe ausgeben wollen. Konfisziert werde neben Bargeld auch das Vermögen auf Bankkonten.

Total 210 000 Franken 

Basierend auf der Asylgesetzgebung müssen Asylsuchende, wenn es ihnen zuzumuten ist, die Sozialhilfe-, Ausreiseund Vollzugskosten sowie die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zurückerstatten. Zu diesem Zweck können die Behörden auch Vermögenswerte beschlagnahmen. Nur wenn die Person innerhalb von sieben Monaten selbstständig wieder ausreist, kriegt sie ihr Geld zurück. Im «10 vor 10»-Beitrag erzählen Flüchtlinge weiter, dass sie ihre Ringe hätten abgeben müssen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) bestreitet dies: «Es handelt sich in der Regel um rein finanzielle Mittel», sagt die Sprecherin des SEM, Léa Wertheimer. Jedes Wertstück, das emotionalen Wert habe, bleibe beim Flüchtling. Ein Ehering beispielsweise werde nicht abgenommen. «Im letzten Jahr mussten 112 Personen Vermögenswerte im Gesamtwert von 210 000 Franken abgeben», sagt Wertheimer. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) kritisiert die Praxis: «Es tangiert die persönlichen Rechte eines Flüchtlings», sagt Susanne Stahel, Sprecherin des UNHCR.

Auf politischer Ebene regt sich Widerstand bis in die Mitteparteien: «Diese Praxis ist ein Angriff auf die menschliche Würde von Flüchtlingen», sagt Nationalrätin Barbara Schmid-Federer (CVP). «Das lehne ich klar ab.» Ihre Parteikollegin Kathy Riklin pflichtet ihr bei. Sie findet die Handhabung «kleinlich»: «Es handelt sich ja nicht um Unsummen, die sämtliche Asylkosten decken könnten.» Die Praxis sei unangebracht: «Diesen Leuten das wenige Geld, das sie noch haben, abzuknöpfen, finde ich unfair.» Andere argumentieren gegensätzlich: «Ich halte es für zumutbar, dass die Flüchtlinge etwas zahlen», sagt Beat Flach (GLP). Es gehe nicht darum, die Leute auszunehmen, sondern, dass sie ebenfalls einen Beitrag leisten würden: «Wer Geld hat, soll bezahlen.» Es sei auch ein Zeichen, dass es nicht gratis ist, was die Schweiz für die Flüchtlinge macht: «Es kostet.»

Auch ein Teil des Lohns 

BBC, «The Guardian», «Spiegel online», «Figaro», ABC News: Sie alle schütteln den Kopf über die Schweiz. Besonders entrüstet reagieren User der sozialen Medien. Die Schweizer Praxis sei eine Schande, lautet der Tenor auf Twitter. Anspielungen auf das Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg sind zahlreich. Und unter #SaveSwitzerland mokierten sich User darüber, dass die «mittellose» Schweiz nur überleben kann, wenn sie Bargeld von Flüchtlingen stiehlt. Flüchtlinge, die in der Schweiz aufgenommen werden und eine Arbeitsstelle finden, müssen später noch mehr zahlen. Gemäss Asylgesetz treten sie zehn Prozent ihres Lohns an den Bund ab, bis das Maximum von 15 000 Franken erreicht ist.

Auch mit dieser Sonderabgabe ist das UNHCR nicht einverstanden: «Sie erschwert den Zugang zum Arbeitsmarkt und die Integration», sagt Susanne Stahel, Sprecherin des UNHCR. Deshalb begrüsse das UNHCR den Gesetzesvorschlag, der die Sonderabgabe abschaffen will. Der Bundesrat will die Abgabe abschaffen, um Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Er will dies im Rahmen der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative neu regeln.

Dieser Artikel erschien am 16. Januar 2016 im TagesAnzeiger.

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